Marlene Averbeck : Das Lichtenstein – Modehaus der Träume
Berlin 1913. Im Mittelpunkt des Romans steht „Das Lichtenstein“, ein Kaufhaus im Herzen der Stadt. Es bietet seinen Kunden ein breites Sortiment − vor allem Damenkleidung mit besonderem Chic – und stellt einen vielfältigen Mikrokosmos dar, in dem die Autorin Marlene Averbeck unterschiedlichste Menschen und Schicksale aufeinander treffen lässt.
Als Ladenmädchen taucht Hedi, die, zwar aus gutbürgerlichen Verhältnissen kommend, als Halbwaise dennoch etwas zum Haushaltsgeld beitragen möchte, fasziniert in diese Welt ein und erlebt, wie Modekollektionen entstehen. Der Näherin Thea, mit der sich Hedi anfreundet, ist bewusst, dass ihre Arbeitsbedingungen im „Lichtenstein“ weit besser sind als die vieler Heimarbeiterinnen; ihre Aussichten, einen Mann für die Gründung einer eigenen Familie zu finden, sind dagegen eher begrenzt. Geführt wird das Haus von der Familie Lichtenstein. Ludwig Lichtenstein leitet das Atelier, in dem die Kleidung gefertigt wird und will mit aller Macht den Status Quo wahren. Jacob Lichtenstein, sein älterer Bruder, der den Personalbereich verantwortet, hat das grosse Ganze im Blick und strebt eine Modernisierung an. Trotz familiären Widerständen beginnt er, seine ehrgeizigen Pläne umzusetzen. Doch dann geht das „Lichtenstein“ in Flammen auf – damit stehen die Existenzen der Angestellten wie auch der Inhaber auf dem Spiel – und die Situation wird durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges nicht einfacher.
Auf dem geschichtlichen Hintergrund – damals begann in Berlin Konfektionsmode zu entstehen, die in den vielen Warenhäusern der Stadt angeboten wurde, während Paris als Stadt der Haute Couture galt – gelingt es Marlene Averbeck, die Leser*innen in eine längst vergangene Epoche mitzunehmen. Aus den verschiedenen Perspektiven ihrer zahlreichen Figuren blickt man nicht nur in die Welt der Mode, sondern erhält auch Einblicke in die damalige Gesellschaft und unterschiedliche Lebenswelten. So unterscheidet sich das Selbstverständnis der Inhaber des Kaufhauses oder das begüterter Kunden erheblich von den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Näherinnen, Konfektionären, Zwischenmeistern oder Verkäuferinnen.
Die Rollen, die die verschiedenen Protagonisten in diesem im August 2020 erschienenen 461 Seiten umfassenden Roman verkörpern, sind lebendig gezeichnet und könnten unterschiedlicher kaum sein. Vor allem die Frauenbilder sind teilweise aus heutiger Sicht nahezu nicht mehr vorstellbar, was die Lektüre für die Leser *innen um so interessanter macht. Bei dem Roman handelt es sich um den ersten Band einer geplanten Trilogie – man darf auf die Fortsetzung gespannt sein.
Marlene Averbeck: Das Lichtenstein – Modehaus der Träume, dtv-Taschenbuch, München 2020, ISBN 978-3-423-26269-9, 15,90 EUR