Tracy A Franklin/Nicola Jarvis: Contemporary Whitework

 

 

“Whitework” lässt sich am treffendsten mit „Weißstickerei” übersetzen, also Sticktechniken, bei denen mit weißem Garn auf weißem Untergrund gearbeitet wird. Darunter fallen z.B. Broderie Anglaise (auch Bindlochstickerei genannt), Schattenstickerei und Schattenapplikationen, Richelieustickerei, Hohlsaumarbeiten, Ajour-Stickerei, Hardanger oder Mountmellick, eine Technik, die in Irland ihren Ursprung hat.

 

Im vorliegenden, 128 Seiten umfassenden Buch geht es selbstverständlich um die von Hand gearbeiteten Techniken, die meistenteils lange Traditionen aufweisen können. Das Besondere dieses Buches ist jedoch mit dem Wort „contemporary“, also „zeitgenössisch“, umschrieben – wie wir gleich sehen werden.

 

Für die Rezension dieses Buches habe ich einmal einen anderen Ansatz gewählt als sonst: Ich blätterte zunächst einmal durch, um einen Überblick zu gewinnen und stellte dabei schon fest, dass das Buch sehr systematisch aufgebaut ist. Beim wiederholten Durchblättern konzentrierte ich mich allein auf die bildlichen Darstellungen und ließ die Texte ungelesen – nur um unvoreingenommen feststellen zu können, ob auch eine Leserin ohne bzw. mit nur wenigen englischen Sprachkenntnissen etwas von dem Buch haben könnte.

 

Und ich muss sagen, dass jemand, der über eine gewisse Erfahrung im Sticken verfügt, auch ohne Erklärungen Nutzen aus dem wirklich gut aufgemachten Buchen ziehen wird. Dies liegt einerseits an der Systematik, andererseits an den vielen Zeichnungen und vor allem Fotografien. Nach einer kurzen Einführung in Werkzeuge, Ausrüstung, Stoffe und Stickgarne – die Informationen dieser ersten 10 Seiten kann man sich auch leicht aus anderer Literatur beschaffen – wird Sticktechnik für Sticktechnik beschrieben: zuerst jeweils ein kurzer geschichtlicher Überblick, dann Schritt-für-Schritt-Anleitungen der einzelnen Stiche und schließlich Beispiele für die zeitgenössische Anwendung - Stiche und Muster kreativ verändert. Dank der vielen Zeichnungen und der bei einer erfahrenen Stickerin als bekannt vorausgesetzten Kenntnisse werden die einzelnen Arbeitsweisen kein Problem darstellen.

 

Das Neue an diesem Buch sind aber die Ideen, die einzelnen Stiche der Weißstickerei anders als bisher einzusetzen, sei es z.B. in neuer Formation, in Kombination mit anderen Materialien, in freier Ausführung, jedenfalls mit neuen Wirkungen. Es sind eine Reihe von inspirierenden Experimenten, die – handwerklich exzellent ausgeführt – nicht nur das Repertoire einer Stickerin, sondern auch das einer Quilterin erweitern.

 

So hat mich nicht nur die Stickerei auf dem Titel überzeugt, sondern auch einige weitere nette Ideen wie z.B.: durch kleine, mit dem Bindlochstich umrandete Löchlein kommen die Haare eines (selbstverständlich weißen) Webpelzes durch und verleihen dem Ganzen einen feinen Nebeleffekt. Oder: Eine in traditioneller Weise ausgeführte Richelieu-Stickerei wird in ihrem Charakter total durch eine ungewöhnliche Materialauswahl verändert, wenn statt eines Leinengrunds Chiffon zum Einsatz kommt und mit (weißem) Plastikfaden, zusätzlich kontrastiert mit alten Rocailles-Perlchen, gestickt wird. Überhaupt verlieren fadengebundene Stiche ihren strengen Charakter, wenn auf der Ansichtsseite Knoten, Fransen oder zusätzliche Fäden stehen oder hängen bleiben, die wie geschichtete, auch nichttextile Materialien der Arbeit Dreidimensionalität verleihen.

 

Insgesamt muss man aber sagen, dass die Effekte eher dezent sind. Vergleicht man die Arbeiten der Autorinnen Tracy A Franklin und Nicola Jarvis – übrigens sind beide Absolventinnen bzw. Lehrerin der prestigeträchtigen Royal School of Needlework in London – mit den Stickereien etwa von Jan Beaney, Jean Littlejohn, Magaret Beal oder Julia Caprara, so wirken die Weißstickereien bei weitem nicht so spektakulär – aber vielleicht ist die Eleganz einer Arbeit, die weiß in weiß gehalten ist, damit auch nicht unbedingt vergleichbar. Jedenfalls lohnt sich dies Buch für alle, die gerne ihre Handstiche kreativ variieren möchten, egal, ob als Stickerei an sich oder als Dekorelement auf einem textilen Objekt.

 

Tracy A Franklin/Nicola Jarvis: Contemporary Whitework, B T Batsford, London 2005, ISBN 0 7134 8964 2, ca. 22,- EUR

 

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