Schon
das Cover ist viel versprechend: Eine Stickerei auf einem textilen Untergrund –
oder ist er doch aus Zeitungspapier? Gestickt mit der Hand oder doch mit der
Maschine oder beides? Gwen Hedley: Drawn To Stitch
Schon
das Cover ist viel versprechend: Eine Stickerei auf einem textilen Untergrund –
oder ist er doch aus Zeitungspapier? Gestickt mit der Hand oder doch mit der
Maschine oder beides?
In diesem 144 Seiten umfassenden Buch geht es – man glaubt es kaum – um Linien. Nach dem ersten Durchblättern ist indes schon klar, dass dies seine Berechtigung hat, ist doch die Linie ein fundamentales Element in Kunst und Design und von großer Vielseitigkeit.
Gwen Hedley, eine der bekanntesten Textilkünstlerinnen aus Großbritannien, konzentriert ihren Blick auf Linien in der Natur, aber auch auf die von Menschenhand gemachten, etwa in der Architektur. Sie zeichnet sie auf und verwendet sie als Inspiration für ihre außergewöhnlichen textilen Arbeiten. Mit Linien können beispielsweise Strukturen, Markierungen, Farbtöne und natürlich Formen ausgedrückt werden – aber erst mal der Reihe nach.
Das Buch versteht sich als Werk- und Arbeitsbuch. So ist es folgerichtig, dass die Autorin zunächst alles darstellt, was man benötigt, um auch damit arbeiten zu können. Um den Blick zu schärfen und das eigene Gedächtnis zu unterstützen, empfiehlt sie Kamera und Notizbücher und gibt anschließend einen Überblick über Material und Werkzeug, wie z.B. Zeichengeräte, Untergründe und ihre Behandlung sowie in diesem Kontext interessante textile Techniken, wie etwa Druckverfahren, Entfärben, Transfertechniken, Trockenfilzen, Papierherstellung und natürlich Nähen und Sticken.
Ab dem dritten, etwa 60 Seiten unfassenden Kapitel, kommt die Autorin auf den Kern der Materie zu sprechen. Jetzt, da der Leser die Voraussetzungen kennt und bereit ist für eigene (Auf-) Zeichnungen und textile Umsetzungen, kommt alles zusammen: Jeweils an Hand eines Projekts stellt sie ihre Zeichnung(en), die als Inspiration diente(n), und die Umsetzung(en) in textil vor, wobei dies auch durchaus gleichzeitig mehrere Ideen sein können. Dabei wird der Blick des Betrachters auf den Charakter der Linie gelenkt, wie z.B. reliefartig erhöhte oder eingeschnittene, vertiefte Linien, scharfe, harte Linien werden weichen und zackigen gegenübergestellt oder auf den Reiz von unterbrochenen, nur angedeuteten Linien hingewiesen. Exquisite Beispiele, die von der Autorin, aber auch von zahlreichen weiteren englischen Künstlern geschaffen worden sind, illustrieren das Ganze von der ersten bis zur letzten Seite auf das Interessanteste.
Das Buch ist ein faszinierender Ideenschatz, was ungewöhnliche Textilkunst bis hin zu Mixed Media angeht. Nicht zuletzt durch die Hinweise, wie etwas gemacht wird, übt es eine große Motivation auf den Leser aus, selbst tätig zu werden. Sein Aufbau ist wohldurchdacht, seine Aufmachung mit den exzellenten Fotos von Michael Wicks und der zurückgenommenen Farbpalette sehr stimmig und überzeugend. Und das Beste: Auch ohne gute Englischkenntnisse (die freilich von Vorteil sind) ist das Buch ein ausgezeichnetes Werk zum Betrachten, eine Momentaufnahme britischer Textilkunst, das es der erfahrenen Textilschaffenden ermöglicht, in Anlehnung an Gwen Hedleys Ideen weiter zu arbeiten und etwas Eigenes draus zu machen. Sehr inspirierend!
Gwen Hedley: Drawn To Stitch, Batsford / Anova, London 2010, ISBN: 978-1-906388-80-5, ca. 24 EUR
Taschenbuchausgabe: Interweave Press, Loveland, CO 2010, ISBN: 978-1-59668-233-7, ca. 20 EUR