Bee Shay: Collagen-Lab für Mixed-Media-Künstler
Neue kreative Herausforderungen gesucht? Warum nicht mal auf den Spuren von Georges Braque oder Pablo Picasso wandeln, die mit aufgeklebten Papier-Fragmenten ihren Gemälden und Zeichnungen neue Perspektiven verliehen und den Bereich der reinen, klassischen Malerei verlassen. Ein Blick in den Bereich der Techniken der Bildenden Kunst kann jedenfalls nicht schaden und ist hochinteressant. Erweitern wir also den Horizont!
Um kreativ zu arbeiten, bedarf es im Allgemeinen einer Inspiration und – begleitend zum Musenkuss – ist es günstig, die Möglichkeiten zu kennen, wie die Idee wirkungsvoll umgesetzt werden kann. Sich ein künstlerisches Vokabular zu erschaffen, ist daher sowohl für die Ideenfindung wie auch für die Interpretation vorteilhaft. Klar, man kann mit der Methode „Versuch und Irrtum“ manches für sich entdecken (oder auch ausschließen) und so vorwärts kommen. Was spricht aber dagegen, sich von einer Expertin an die Hand nehmen und sich die Richtung zeigen zu lassen? Nichts, solange es noch Freiräume für die eigenen Erfahrungen gibt und die Wege zu Ergebnissen offen bleiben.
Bee Shay hat ihr 144 Seiten umfassendes Buch so aufgebaut, dass man anhand von 52, jeweils in sich abgeschlossenen Kursen sein Reservoir an künstlerischen Techniken entwickeln und auffüllen kann. Insgesamt sind es zwölf Kapitel, die als Versuchsanordnung gegliedert sind, aber auch in beliebiger Reihenfolge durchgegangen werden können. Jeder Kurs wird auf jeweils einer Doppelseite dargestellt, und immer gehören Angaben zum Material, Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Beispielfotos und Anregungen mit Variationen dazu. Unter der Überschrift „Gedankenanstoß“ wird dazu angeregt, das eben Geschaffene zu analysieren und zu beurteilen: Was war interessant, was hat funktioniert (oder auch nicht), welches Resultat wurde erzielt. Danach Notizen machen und diese sammeln. Auf diese Weise baut sich nach und nach ein persönliches Repertoire auf, worauf immer wieder zurückgegriffen werden kann.
Wichtig ist der Autorin, dass man die Erfahrungen genießt und als kreative Herausforderung und Entdeckungsreise (und nicht als Arbeit) auffasst und dass aus diesen Experimenten neue, innovative Ideen entspringen.
Collagen gelten als Inbegriff des Experiments. Heute wird diese Methode oft als „Mixed Media“ bezeichnet und findet auch im Bereich des textilen Schaffens statt. So werden die Kurse und vor allem die anregenden Foto-Beispiele bereichernd wirken und zu eigenen Werken motivieren.
Das Collagen-Labor ist ein gut aufgemachtes Buch. Allerdings liefert ein grauer Druck auf einem Papier in gebrochenem Weiß leider keine optimale Lesbarkeit – da hätte ich mir persönlich eine deutlichere Schriftgestaltung gewünscht. Auch die Übersetzung aus dem Englischen lässt hie und da zu wünschen übrig – oder ist mit „Gefrierpapier“ vielleicht Freezer Paper gemeint?
Trotzdem ist dieser Leitfaden eine Empfehlung, um über den Tellerrand hinaus zu schauen. Die Autorin, die seit 1978 als Dozentin für kreative Gestaltung tätig war und sich seit 1994 insbesondere mit der Collage beschäftigt, versteht ihr Handwerk. Das Buch wird mit einer kleinen inspirierenden Galerie und weiterführenden Link-Sammlung abgerundet.
Bee Shay: Collagen-Lab, Das Laboratorium für experimentierfreudige Mixed-Media-Künstler,
Edition Michael Fischer, Igling 2012, ISBN: 978-3-86355-076-9, 19,90 EUR